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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 14.08.2007
Aktenzeichen: 4 L 400/06
Rechtsgebiete: LSA-StrG, StrG, StrVO DDR 1974, BauGB, WonGenVermG
Vorschriften:
LSA-StrG § 50 Abs. 1 Nr. 3 | |
StrG § 51 Abs. 3 | |
StrVO DDR 1974 § 3 | |
StrVO DDR 1974 § 4 | |
BauGB § 123 Abs. 2 | |
WonGenVermG § 1 |
2. Das Fehlen eines förmlichen Beschlusses i.S.d. § 4 Abs. 1 StrVO DDR 1974 steht der Öffentlichkeit der Straße nach dem DDR-Recht nicht entgegen. Erforderlich war jedenfalls eine Freigabe für die öffentliche Nutzung durch die zuständigen Stellen. Eine solche Freigabe ging über die Duldung der wegemäßigen Benutzung einer Straße durch Dritte hinaus. Als zuständige Stelle war nach der StrVO DDR 1974 für die jeweilige Straße der nach ihrer Freigabe zuständige Rechtsträger oder eine von ihm dazu beauftragte Stelle anzusehen.
3. Soweit vertreten wird, in der Regel genüge ein tatsächlicher Anschluss an das bestehende öffentliche Straßennetz, ist dies auf die Fälle zu beziehen, in denen die öffentliche Nutzung der Straße nach § 3 Abs. 1 Satz 2 StrVO DDR 1974 so offensichtlich ist, dass der staatliche Akt der Freigabe in einem konkludenten Verhalten gesehen werden kann.
Tatbestand:
Die Klägerin, die Eigentümerin des 5.068 m2 großen Grundstücks "C.-D.-Straße 12/13" (Gemarkung A, Flur 2, FlSt. 6) ist, wendet sich gegen einen Straßenreinigungsgebührenbescheid.
Auf dem streitbefangenen Grundstück wurden in den 80er Jahren zwei elfgeschossige Gebäude (jeweils 43 Wohneinheiten) im komplexen Wohnungsbau errichtet. Dabei wurde auf dem Grundstück auch eine ca. 100 m lange und ca. 3,50 m breite Stichstraße mit 25 Parkbuchten gebaut, die in westlicher Richtung in die C.-D.-Straße mündet. An dem Ende der mit einem Betonbelag versehenen Stichstraße verläuft in südlicher Richtung eine ca. 12 m lange Treppe, die über eine ca. 2 bis 3 m hohe Böschung führt, und die Stichstraße mit der S-Straße verbindet. Das Grundstück grenzt auf einer Länge von ca. 100 m an die S-Straße.
Das gesamte Grundstück war im Grundbuch von A als Eigentum des Volkes, Rechtsträger: Rat der Stadt Halle-Neustadt, später Rat der Stadt Halle, eingetragen. Mit Bescheid vom 11. April 1996 stellte die zuständige Behörde gem. §§ 1, 2 und 3 Wohnungsgenossenschafts-Vermögensgesetz fest, dass die Wohnungsgenossenschaft L. e.G., die Rechtsvorgängerin der Klägerin, das Grundstück - vorbehaltlich privater Rechte Dritter - mit Wirkung zum 27. Juni 1993 zu Eigentum übertragen erhalten hat. Der Entscheidung lag eine Einigung der Wohnungsgenossenschaft L. e.G. mit der Beklagten gem. § 2 Abs. 1 VZOG zugrunde.
Die Beklagte zog die Wohnungsgenossenschaft L. e.G. für das Jahr 2005 mit Bescheid vom 8. September 2005 für die Reinigung der S-Straße zu einer Gebühr in Höhe von 165,- € heran. Nach erfolgloser Durchführung des Vorverfahrens hat die Wohnungsgenossenschaft fristgerecht Klage erhoben und vorgetragen, eine Erschließung des Grundstücks über die S-Straße erfolge nicht, sondern es werde ausschließlich über die C.-D.-Straße erschlossen. Weiterhin sei die Stichstraße öffentlich gewidmet.
Nachdem das Verwaltungsgericht Halle durch eine Augenscheinseinnahme Beweis über die Frage erhoben hatte, ob das Grundstück durch die Stichstraße im straßenreinigungsrechtlichen Sinn erschlossen wird, hat es den Gebührenbescheid mit Urteil vom 26. Juli 2006 aufgehoben. Die Stichstraße, bei der es sich um eine Privatstraße handele, sei nach ihrem Zuschnitt eine eigenständige Erschließungsanlage und unterbreche damit den Erschließungszusammenhang zur S-Straße.
Die Beklagte legt zur Begründung der vom Senat wegen ernstlicher Zweifel zugelassenen Berufung dar, dass das Grundstück über die Treppe von der S-Straße erschlossen werde. Der Erschließungszusammenhang sei auch nicht durch die Stichstraße unterbrochen. Diese sei schon nach der StrVO DDR 1974 keine öffentliche Straße gewesen. Das vormals bestehende Eigentum an dem Grundstück sei insoweit irrelevant. Aus der Dimensionierung der Stichstraße könne ebenso wenig auf eine öffentliche Nutzung geschlossen werden, weil es im komplexen Wohnungsbau üblich gewesen sei, Straßen mit den Teileinrichtungen in entsprechender Weise herzustellen. Sie - die Beklagte - verfüge über keine Unterlagen, die Aussagen zur Öffentlichkeit der Straße oder zu einer Freigabe für die öffentliche Nutzung durch den Rat der Stadt Halle-Neustadt bzw. eine von ihm beauftragte Behörde enthielten. Es gebe auch keinerlei sonstige Indizien dafür, dass es sich um eine öffentliche Straße gehandelt habe. Die Vermögenszuordnung nach dem Wohnungsgenossenschafts-Vermögensgesetz spreche gerade dagegen. Die Stichstraße, die nicht die Bezeichnung C.-D.-Straße trage, sei eine Sackgasse, die ausschließlich der privaten Erschließung der Wohngebäude der Klägerin diene. Eine Nutzung durch die Öffentlichkeit, insbesondere durch andere Verkehrsteilnehmer als Anlieger und Benutzer, finde daher nicht statt. An der Stichstraße stünden keine Verkehrszeichen; die Parkplätze seien nicht öffentlich. Eine private, ungewidmete Fläche könne schon keine eigenständig erschließende Straße i.S.d. Straßenreinigungsrechts sein. Darüber hinaus stelle die private Stichstraße keine Erschließungsanlage i.S.d. Erschließungsbeitragsrechts dar.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 5. Kammer - vom 26. Juli 2006 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf Grund der Rechtsträgerschaft des Rates der Gemeinde sei die Stichstraße seit ihrer 1980 erfolgten Errichtung eine öffentliche Straße i.S.d. StrVO DDR 1974 gewesen und habe demzufolge auch der Öffentlichkeit uneingeschränkt zur Nutzung als solche zur Verfügung gestanden. Im Rahmen des komplexen Wohnungsbaus mit volkseigenen Mitteln gebaute Straßen seien prinzipiell alle als öffentliche Verkehrsanlagen errichtet worden. Auftraggeber sei eine staatliche Einrichtung und nicht eine Wohnungsgenossenschaft gewesen. Für eine öffentliche Nutzung sprächen weiterhin die bauliche Anlage der Straße sowie alle übrigen Erscheinungsbilder, die Ausführungsart, die vorhandenen Straßenverkehrszeichen, die Straßenbeleuchtung sowie die ursprünglich öffentlich eingerichteten Parkplätze. Es gebe nicht einen einzigen Hinweis darauf, dass es sich bei der Straße nicht um eine öffentliche Straße gehandelt haben solle. Bis 1992 habe die Stichstraße in der Verfügungshoheit der Beklagten gestanden, deren Aufgabe es sei, den Nachweis zu führen, dass die Stichstraße zu keiner Zeit nach dem Straßengesetz der DDR öffentlich gewidmet gewesen sei oder dass eine Entwidmung erfolgt sei. Eine Privatstraße habe die Stichstraße nicht sein können, weil diese nicht auf einem im persönlichen (privaten) Eigentum stehenden Grundstück errichtet worden sei. Auch habe sich im Eingangsbereich kein Schild mit der Aufschrift "frei für Anlieger" befunden. Dagegen würden in der Ziff. 4 der Anlage zu der AO zum komplexen Wohnungsbau vom 4. Mai 1972 als kommunale Straßen im Wohnkomplex ausdrücklich u.a. Stichstraßen bezeichnet. Nach § 2 dieser AO habe die Verpflichtung der Investitionsauftraggeber - IAG - bzw. der Hauptauftraggeber - HAG - zum Abschluss von Vereinbarungen bestanden, die u. a. die Übergabe/Übernahme der Rechtsträgerschaft der fertig gestellten Einrichtungen des Verkehrs zum Inhalt gehabt hätten. Mit der Abnahme und dem vollzogenen Rechtsträgerwechsel sei der öffentliche Charakter der Straße hergestellt gewesen. Auf Grund der Anweisung des Ministers für Bauwesen in der Abnahme-AO vom 11. November 1980 hätten die im komplexen Wohnungsbau fertig gestellten Gebäude erst abgenommen werden dürfen, wenn u.a. die verkehrstechnischen Verkehrsanlagen hergestellt worden seien. Mit dieser Abnahme und dem Rechtsträgerwechsel habe die Straße seit ihrer Errichtung öffentlichen Charakter im heutigen Sinne einer "öffentlichen Widmung". Ein formeller Akt der Widmung habe nicht stattgefunden. Die StrVO DDR 1974 gebe danach nicht die rechtliche Lösung. Auch in den rechtlichen Hinweisen des Senats und den Entscheidungen verschiedener Oberverwaltungsgerichte werde nicht genau festgestellt, welche formellen Voraussetzungen eine besondere Freigabeentscheidung habe erfüllen müssen und wer dafür zuständig gewesen sei.
Obwohl es sich um eine Stichstraße handele, sei weitergehender Rad- und Fußgängerverkehr für jedermann möglich. Eine auf bestimmte Personen oder einen bestimmten Personenkreis eingeschränkte Nutzung finde nicht statt. Die Straße sowie die dort befindlichen Parkplätze seien öffentlich zugänglich und würden von jedermann genutzt.
Die Beklagte habe sich im Übrigen widersprüchlich verhalten. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten habe 1990 eine Umbenennung von Amts wegen vorgenommen und die Stichstraße als "C.-D.-Straße" bezeichnet. Weiterhin werde die C.-D.-Straße im Bereich der Hausnummern 12 und 13 in die Reinigungsklasse VI eingestuft, was bei einer Privatstraße unzulässig sei. Auch die Beleuchtung der Stichstraße werde seit 1980 durch die Beklagte betrieben. Schließlich seien unmittelbar vor der Einmündung in die Stichstraße die Verkehrszeichen 290 bzw. rückseitig 292 angebracht, welche darauf hinweisen würden, dass im gesamten Bereich das Parken nur auf den dafür vorgesehen Flächen zulässig sei.
Dass das Grundstück und damit die Stichstraße im Laufe der Vermögenszuordnung in privates Eigentum übergeführt worden sei, habe an dem bestehenden Status einer öffentlich gewidmeten Straße nichts geändert. Auch sonst habe keine Entwidmung stattgefunden.
Selbst wenn die Stichstraße nicht öffentlich wäre, würde im Übrigen die Erschließung der Wohnblöcke ausschließlich über die öffentliche C.-D.-Straße erfolgen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Das Verwaltungsgericht hat der Anfechtungsklage der Klägerin zu Unrecht stattgegeben. Der Straßenreinigungsgebührenbescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für den Bescheid ist § 50 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 StrG LSA i.V.m. der Straßenreinigungsgebührensatzung der Beklagten vom 22. Dezember 1999 i.d.F. der Änderungssatzung vom 18. Dezember 2002. Gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 3 StrG LSA können die Gemeinden durch Satzung die nach § 47 geregelte Verpflichtung zum Reinigen und zum Winterdienst den Eigentümern oder Besitzern der durch öffentliche Straßen erschlossenen Grundstücke auferlegen oder sie zu den Kosten heranziehen (Satz 1). Die Heranziehung zu den Kosten regelt sich nach den Vorschriften des kommunalen Abgabenrechts (Satz 3).
1. Bedenken an der formellen oder materiellen Rechtmäßigkeit der Straßenreinigungsgebührensatzung sind nicht erhoben worden und nicht ersichtlich.
2. Das Grundstück der Klägerin wird (auch) durch die S-Straße i.S.d. § 50 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 StrG LSA erschlossen. In Anlehnung an die Kriterien, die für das Erschlossensein im erschließungsbeitragsrechtlichen Sinn entwickelt worden sind (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 6. April 2001 - 1 L 11/01 -, LKV 2002, 98 f.) ist die Vorgabe des § 50 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 StrG LSA dann erfüllt, wenn weder tatsächliche noch rechtliche Hindernisse für die Herstellung eines Zugangs oder einer Zufahrt zwischen Grundstück und Straße bestehen und damit der Grundstückseigentümer von der Reinigung der Straße einen besonderen Vorteil erlangt (vgl. auch OVG LSA, Beschl. v. 19. September 2005 - 4 M 79/05 -). Das streitbefangene Grundstück wird danach durch die Treppe zwischen der Stichstraße und der S-Straße erschlossen, die einen tatsächlichen Zugang bildet.
Offen bleiben kann dabei, inwieweit der Erschließungsbegriff des Straßenreinigungsgebührenrechtes mit dem des Erschließungsbeitragsrechts identisch ist oder ob eine Erweiterung geboten ist (vgl. zum jeweiligen Landesrecht: OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 28. September 1989 - 9 A 1974/87 -, NVwZ-RR 1990, 508 ff.; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 7. März 2006 - 7 A 11436/05 -, NVwZ-RR 2006, 722 f.; OVG Sachsen, Urt. v. 28. März 2007 - 5 B 45/05 -; OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 13. Oktober 2005 - 2 LB 97/04 -, jeweils zit. nach JURIS; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 31. März 1998 - 8 B 43/98 -, NVwZ-RR 1999, 64).
3. Eine Erschließung des Grundstücks der Klägerin durch die darauf befindliche Stichstraße erfolgt nicht, so dass das Vorhandensein der Stichstraße der Erhebung der Straßenreinigungsgebühr nicht entgegen steht.
a) Es handelt sich zunächst bei der Stichstraße entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin nicht um eine öffentliche Straße, sondern um eine Privatstraße.
Die Stichstraße wurde nicht gem. § 2 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 StrG LSA durch Allgemeinverfügung dem öffentlichen Verkehr gewidmet. Eine Eintragung der Stichstraße in ein Bestandsverzeichnis der Beklagten oder deren fehlende Ausweisung darin mit den jeweils nach § 4 Abs. 3 Satz 1 oder 2 StrG LSA damit verbundenen rechtlichen Folgerungen erfolgte ebenfalls nicht.
Sie war weiterhin nicht i.S.d. § 51 Abs. 3 StrG LSA eine Stadt- und Gemeindestraße nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Spiegelstrich 4 StrVO DDR 1974 oder i.S.d. § 51 Abs. 4 StrG LSA eine betrieblich-öffentliche Straße nach § 3 Abs. 3 StrVO DDR 1974. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StrVO DDR 1974 waren öffentliche Straßen alle Straßen, Wege und Plätze einschließlich Parkplätze, die der öffentlichen Nutzung durch den Fahrzeug- und Fußgängerverkehr dienten. Ihre Nutzung war gem. Satz 2 entsprechend der Zweckbestimmung der öffentlichen Straßen und ihrem straßenbau- und verkehrstechnischen Zustand sowie im Rahmen der Rechtsvorschriften allen Verkehrsteilnehmern gestattet (öffentliche Nutzung). Öffentlich waren gem. § 3 Abs. 3 Satz 1 und 2 StrVO DDR 1974 auch Straßen, die überwiegend den Interessen ihrer Rechtsträger oder Eigentümer und daneben der öffentlichen Nutzung dienten; sie wurden als betrieblich-öffentliche Straßen bezeichnet. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 StrVO DDR 1974 entschied der Rat der Stadt bzw. der Gemeinde durch Beschluss über die öffentliche Nutzung und über die Zuordnung zu den Straßen, die ausschließlich der öffentlichen Nutzung dienten, oder zu den betrieblich-öffentlichen Straßen.
Das Fehlen eines förmlichen Beschlusses i.S.d. § 4 Abs. 1 StrVO DDR 1974 steht allerdings der Öffentlichkeit der Straße nach dem DDR-Recht nicht entgegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30. Oktober 2002 - 8 C 24.01 -, ZOV 2003, 51, 52 m.w.N.; OVG Berlin, Urt. v. 10. Januar 2004 - 1 B 8.04 -, NJ 2005, 510, 511 m.w.N.; OVG Thüringen, Urt. v. 12. November 2001 - 2 KO 730/00 - zit. nach JURIS; offen gelassen in OVG LSA, Beschl. v. 12. Januar 2000, a.a.O.). In der Rechtspraxis der DDR waren ausdrückliche (schriftliche) Ratsbeschlüsse vielfach nicht nachweisbar; diese waren nach dem Verständnis des § 4 Abs. 1 Satz 1 StrVO DDR 1974 erst dann erforderlich, wenn Streitfragen und Abgrenzungsprobleme zu klären waren (vgl. OVG Thüringen, Urt. v. 12. November 2001, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 30. Oktober 2002, a.a.O.). Insoweit wird zu Recht auf den maßgeblichen straßenrechtlichen DDR-Kommentar (Bönninger/Knobloch: Themenreihe Verwaltungsrecht der DDR, Das Recht der öffentlichen Straßen, Karl-Marx-Universität Leipzig 1978, S. 11, zit. nach OVG Thüringen, Urt. v. 12. November 2001, a.a.O.) abgestellt, in dem es u.a. heißt:
"Die Straße, die zunächst Bauwerk ist, wird zu einer öffentlichen Straße in dem Zeitpunkt, in dem das Bauwerk Straße abgenommen wird und durch den Rechtsträger und die Deutsche Volkspolizei, die die Verkehrssicherheit der Straße bescheinigt, für die öffentliche Nutzung freigegeben wird. Beim Neubau einer Straße ist die Freigabe für die öffentliche Nutzung der Akt, durch den die Straße zu einer öffentlichen wird. Diese Freigabeerklärung erfolge in der Regel durch Anschluß an das bestehende Straßennetz (symbolisch durch das Zerschneiden eines Bandes, das die bisherige Baustelle vom öffentlichen Straßennetz trennt) und durch öffentliche Bekanntmachung."
Es ist aber für die Öffentlichkeit einer Straße nicht ausreichend gewesen, dass faktisch eine Nutzung zu Verkehrszwecken stattfand. Die Systematik der §§ 3, 4 StrVO DDR 1974 und der Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 2 StrVO DDR 1974 lassen erkennen, dass die Öffentlichkeit einer neu erbauten Straße nur durch einen staatlichen Akt begründet werden konnte (so auch OVG Berlin, Urt. v. 10. Jan. 2004, a.a.O. S. 511). Erforderlich war daher jedenfalls eine Freigabe für die öffentliche Nutzung durch die zuständigen Stellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30. Oktober 2002, a.a.O. S. 52; OVG Berlin, Urt. v. 10. Januar 2004, a.a.O. S. 511 m.w.N.). Eine solche Freigabe ging über die Duldung der wegemäßigen Benutzung einer Straße durch Dritte hinaus (vgl. OVG Thüringen, Urt. v. 12. November 2001, a.a.O.; OVG Berlin, Urt. v. 10. Januar 2004, a.a.O. S. 511). Als zuständige Stelle war nach der StrVO DDR 1974 für die jeweilige Straße der nach ihrer Freigabe zuständige Rechtsträger oder eine von ihm dazu beauftragte Stelle anzusehen. Mit dem OVG Thüringen geht der Senat davon aus, dass als Nachweis für eine Freigabe zur öffentlichen Nutzung
- ein (deklaratorischer) Beschluss nach § 4 Abs. 1 Satz 1 StrVO DDR 1974 oder
- die Vorlage einer Straßendatei oder eines Bestandsverzeichnisses oder
- die Vorlage sonstiger Urkunden oder Beweismittel, aus denen sich ein entsprechender Vorgang ergibt,
in Betracht kommen. Dabei musste ein entsprechender Wille der zuständigen Stelle in hinreichender Weise nach außen erkennbar geworden sein. Soweit vertreten wird, in der Regel genüge ein tatsächlicher Anschluss an das bestehende öffentliche Straßennetz (vgl. BVerwG, Urt. v. 30. Oktober 2002, a.a.O. S. 52; vgl. auch Zörner LKV 2000, 526, 528; Fieberg u.a., VermG § 5 Rdnr. 33), ist dies auf die Fälle zu beziehen, in denen die öffentliche Nutzung der Straße nach § 3 Abs. 1 Satz 2 StrVO DDR 1974 so offensichtlich ist, dass der staatliche Akt der Freigabe in einem konkludenten Verhalten gesehen werden kann.
Eine solche eindeutige Rechtslage war hier aber gerade nicht gegeben. In § 3 Abs. 1 Satz 2 StrVO DDR 1974 wird zur Frage der öffentlichen Nutzung auf die Zweckbestimmung der öffentlichen Straßen und ihren straßenbau- und verkehrstechnischen Zustand abgestellt. Voraussetzung für die öffentliche Nutzung war ein nicht nur auf einen individuell feststehenden Personenkreis beschränkter, sondern der Allgemeinheit ungehindert offen stehender Verkehr. Vorliegend war der Verkehr durch die Ausgestaltung der Straße als Stichstraße erheblich eingeschränkt; sie diente lediglich der Erreichbarkeit der anliegenden Wohngebäude. Dass die Straße und die Parkplätze von der Allgemeinheit benutzt worden sind, ist angesichts der tatsächlichen Umstände nicht ersichtlich; die gegenteilige Behauptung hat die Klägerin nicht weiter belegt. Die Lage des Weges im Straßennetz der Beklagten sowie der Zweck der Stichstraße sprechen damit gegen einen allgemeinen Verkehr im Sinne des § 3 Abs. 1 StrVO DDR 1974 (vgl. auch OVG LSA, Beschl. v. 12. Januar 2000, a.a.O.). Auf Grund der Gestaltung der Stichstraße als bloße Zufahrt zu den beiden Wohngebäuden mit Parkplätzen ist deshalb ohne einen Akt der Freigabe eine Öffentlichkeit der Straße i.S.d. StrVO DDR 1974 nicht anzunehmen.
Nachweise oder zumindest Indizien für eine solche Freigabe liegen bislang nicht vor und wurden von der Klägerin auch nicht hinreichend benannt. Soweit die Klägerin geltend macht, es sei Aufgabe der Beklagten, den Nachweis zu führen, dass die Straße nicht öffentlich gewesen sei, geht sie von einer dahingehenden gesetzlichen Vermutung aus. Eine Vermutung für die Öffentlichkeit einer Straße lässt sich der StrVO DDR 1974 aber nicht entnehmen.
Dass das Grundstück und damit die Straßenfläche im Grundbuch als "Eigentum des Volkes" eingetragen war und sich in der Rechtsträgerschaft des Rates der Stadt Halle(-Neustadt) befand, ist kein Nachweis für eine Freigabe. Zwar befanden sich Straßen, die ausschließlich der öffentlichen Nutzung dienten, gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 StrVO DDR 1974 in der Rechtsträgerschaft der zuständigen Staatsorgane, bei Stadt- und Gemeindestraßen waren dies nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Spiegelstrich 1 StrVO DDR 1974 die Räte der Städte bzw. Gemeinden. Die Aufgaben der Rechtsträger (u. a. Instandhaltung) richteten sich nach § 10 StrVO DDR 1974. Jedoch war mit der Rechtsträgerschaft der Straße bzw. dem Eigentum an der Straße allein nicht schon eine Entscheidung über deren öffentliche Nutzung verbunden. Die Tatsache der Rechtsträgerschaft ist hier noch nicht einmal ein Indiz für eine Freigabe zur öffentlichen Nutzung. Denn die Rechtsträgerschaft war nicht auf die Straßenfläche beschränkt, sondern erfasste das gesamte Grundstück.
Die sonstigen Einwendungen der Klägerin sind ebenfalls nicht durchgreifend.
Dass die Straße im Rahmen des komplexen Wohnungsbaus errichtet wurde, lässt von vornherein keine Rückschlüsse auf ihren Status zu. Weder die StrVO DDR 1974 noch die AO über die staatlichen Anlagen und Versorgungsnetze für den komplexen Wohnungsbau vom 4. Mai 1972 (GBl. DDR II, Nr. 28 S. 328) belegen eine derartige Folgerung. Insbesondere die Ziff. 4 der Anlage zur AO vom 4. Mai 1972 ist nicht durchgreifend. Die von der Klägerin hervorgehobene Wendung "Dazu gehören ... Stichstraßen" in Satz 2 bezieht sich nicht auf die in Satz 1 genannten "kommunalen Straßen im Wohnkomplex", sondern auf die in Satz 1 angesprochene "Verantwortung des komplexen Wohnungsbaus bei Wohnkomplexen", die sich auf die Straßenverkehrsanlagen vom Wohnkomplex zum Ortsstraßennetz und die kommunalen Straßen im Wohnkomplex erstreckt. Gerade die Unterscheidung in "Straßenverkehrsanlagen vom Wohnkomplex zum Ortsstraßennetz" und "kommunale Straßen im Wohnkomplex" zeigt, dass nicht alle Straßen im komplexen Wohnungsbau als öffentliche Straßen angesehen wurden.
Soweit nach § 2 Abs. 3 Satz 2 Spiegelstrich 4 der AO die Verpflichtung der Investitionsauftraggeber (IAG) bzw. der Hauptauftraggeber (HAG) des komplexen Wohnungsbaus zum Abschluss von Vereinbarungen über die Übergabe/Übernahme der Rechtsträgerschaft der fertig gestellten stadttechnischen Anlagen und Versorgungsnetze des komplexen Wohnungsbaues an/durch die Betriebe, Kombinate und Einrichtungen der Wasserwirtschaft, des Post- und Fernmeldewesens, des Verkehrs und der kommunalen Wirtschaft bestand und soweit auf Grund der von der Klägerin überreichten Anweisung des Ministers für Bauwesen in der Abnahmeordnung vom 11. November 1980 die im komplexen Wohnungsbau fertig gestellten Gebäude erst abgenommen werden durften, wenn u.a. die Zugangswege, Zufahrtswege (-straßen) einschl. Beleuchtung vorhanden waren, betrifft dies die interne Abwicklung der Herstellung und Übernahme der Gebäude und Verkehrsanlagen. Es handelte sich dabei von vornherein nicht um eine Entscheidung über die Freigabe zur Nutzung nach der StrVO DDR 1974.
Die Behauptung der Klägerin, die Stichstraße werde - wie der westlich des Grundstücks verlaufende Straßenzug - als "C.-D.-Straße" bezeichnet und sei in eine Reinigungsklasse eingestuft, ist nicht zutreffend. Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass beide Gebäude auf dem Grundstück lediglich postalisch als "C.-D.-Straße 12/13" bezeichnet würden und die Stichstraße ausweislich fehlender Straßenschilder oder entsprechender Bezeichnungen in amtlichen Unterlagen keinen Straßennamen trage. Dementsprechend bezieht sich auch die Einstufung in eine Reinigungsklasse nur auf den westlich verlaufenden Straßenzug.
Soweit die Klägerin auf verschiedene Verkehrsschilder verweist, befinden sich diese nach den Feststellungen in dem Protokoll des Verwaltungsgerichts an der Ecke C.-D.-Straße/S-Straße und nicht an der Stichstraße.
Dass die Beleuchtung in der Stichstraße seit deren Errichtung von der Beklagten unterhalten worden ist, hat diese nicht bestritten. Allein darauf lässt sich aber eine Öffentlichkeit der Straße nicht stützen (vgl. auch OVG LSA, Beschl. v. 12. Januar 2000, a.a.O.). Denn ein gewichtiges Indiz gegen die Einordnung der Stichstraße als öffentliche Straße ist die durch Bescheid erfolgte Feststellung nach dem Wohnungsgenossenschafts-Vermögensgesetz - WonGenVermG -, dass die Rechtsvorgängerin der Klägerin Eigentümerin des gesamten Grundstückes und damit auch der Stichstraße geworden ist. Gemäß § 1 WonGenVermG sind die Wohnungsgenossenschaften Eigentümer des von ihnen für Wohnzwecke genutzten, ehemals volkseigenen Grund und Bodens (Abs. 1 Satz 1). Zu dem von den Wohnungsgenossenschaften für Wohnzwecke genutzten Grund und Boden im Sinne des Absatzes 1 gehören die mit Wohngebäuden überbauten Flächen sowie die Flächen, die mit den Wohngebäuden in unmittelbarem räumlichen und funktionalen Zusammenhang stehen (Abs. 2 Satz 1). Dies sind insbesondere die von der Bebauung freizuhaltenden Flächen, wie gebäudebezogene Grünanlagen, Vorgartenflächen, Hofflächen, Kleinkinderspielplatzflächen, Wäschetrockenplätze, Müllsammelplätze und Zugänge zu den Wohngebäuden, sowie die den Wohngebäuden zuzurechnenden, vorhandenen Stellplätze (Abs. 2 Satz 2). Daraus ergibt sich, dass die Stichstraße im Rahmen der auf einer Einigung nach § 2 Abs. 1 VZOG beruhenden Feststellung nach dem WonGenVermG als Fläche angesehen worden ist, die von der Wohnungsgenossenschaft für Wohnzwecke genutzt worden ist. Sie wurde insoweit Stellplätzen gleichgestellt. Daraus dürften zwar keine unmittelbaren Rechtsfolgen für die Einstufung der Straße nach dem StrG LSA hergeleitet werden können. Jedenfalls aber schließt diese Feststellung zumindest aus, dass die Beklagte und die Rechtsvorgängerin der Klägerin 1996 angenommen haben, es habe sich um eine der öffentlichen Nutzung dienende Straße nach der StrVO DDR 1974 und nachfolgend um eine öffentliche Straße nach dem StrG LSA gehandelt (vgl. dazu auch BVerwG, Urt. v. 30. Oktober 2002, a.a.O. S. 53). Die Unterhaltung der Beleuchtung oder auch andere Unterhaltungsmaßnahmen hat die Beklagte also gerade nicht als Teil der Unterhaltung einer öffentlichen Straße angesehen. Soweit die Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten haben, der öffentlich-rechtliche Status der Stichstraße sei damals von den Beteiligten "übersehen" worden, so folgt der Senat dem nicht. Vielmehr liegt die Schlussfolgerung nahe, dass zu dem damaligen Zeitpunkt die Stichstraße als Privatstraße angesehen worden war.
b) Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Einstufung der unstreitig nur auf dem Grundstück der Klägerin verlaufenden privaten Stichstraße als selbständige Erschließungsstraße i.S.d. § 123 Abs. 2 BauGB steht nicht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Erschließungsbeitragsrecht. Denn private Zufahrten und Wege auf Anliegergrundstücken, die lediglich der internen Erreichbarkeit einzelner Teilflächen des Grundstücks oder bestimmter Standorte dienen, nicht aber der Erschließung weiterer Grundstücke, sind ebenso wie auf dem Grundstück für interne Zwecke verlegte Anschlussleitungen keine Erschließungsanlagen im Sinne des § 123 Abs. 2 BauGB. Dementsprechend handelt es sich bei den vom Bundesverwaltungsgericht als selbständige Erschließungsanlagen angesehenen Eigentümerwegen nicht um Wege auf einem Grundstück, sondern um ein Wegesystem, an das eine Vielzahl von selbständigen Buchgrundstücken angrenzten und durch dieses Wegesystem erschlossen würden (BVerwG, Urt. v. 16. September 1998 - 8 C 8.97 -, NVwZ 1999, 997, 998 f.; Driehaus, Ausbau- und Erschließungsbeitragsrecht, 7. A., § 5 Rdnr. 4). Auch in dem vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss vom 29. August 2000 hat das Bundesverwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass selbständige Erschließungsanlage ein Privatweg sein könne, wenn er u.a. zum Anbau bestimmt sowie zur verkehrsmäßigen Erschließung der an ihn grenzenden Grundstücke geeignet sei.
Da die Stichstraße keine selbständige Erschließungsanlage i.S.d. § 123 Abs. 2 BauGB ist, wird das Grundstück der Klägerin im erschließungsbeitragsrechtlichen Sinn nicht von ihr erschlossen, sondern nur von der C.-D.-Straße und der S-Straße. Selbst wenn man einen vom Erschließungsbeitragsrecht abweichenden straßenreinigungsgebührenrechtlichen Erschließungsbegriff anwendete und prüfen wollte, ob die private Stichstraße im straßenreinigungsgebührenrechtlichen Sinne einen Erschließungszusammenhang des klägerischen Grundstücks zur S-Straße unterbricht (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 14. Januar 2004 - 9 A 2136/02 -; vgl. auch OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 13. Oktober 2005 - 2 LB 97/04 - jeweils zit. nach JURIS), wäre dies angesichts der geringen Entfernung der Stichstraße zur S-Straße sowie der Ausgestaltung der Stichstraße als untergeordneter Zubringer nicht der Fall.
4. Die eigentliche Berechnung und Festsetzung der Gebühr wird von der Klägerin nicht angegriffen; Fehler sind insoweit auch nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.
Ende der Entscheidung
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